Es ist dunkel geworden und der Tag ist fast vorüber. Ich habe heute über allerlei Dinge nachgedacht. Dinge, die schon da waren, aber jetzt erst durch neue Geschichten zum Vorschein kamen. Durch meine Tasten direkt aus meinem Herzen. [Pathos] Aus dem Regen, aus der Reflexion der wenigen Sonnenstrahlen, aus einem Strauß Tulpen auf meinem Fensterbrett. Und aus den dreckigen Straßen von Plagwitz. [Die Autokorrektur möchte aus Plagwitz ein Plagiat machen] Ein Tag wie jeder andere, nur mit noch mehr schreiben. Und wie immer mit irgendeiner seltsamen Form von Sehnsucht.

Ich sitze mit Malina auf dem alten Sofa, welches – könnte es sprechen – uns viele Geschichten erzählen würde. Aus den letzten acht Jahren, seit ich es gekauft habe. Damals mit Lasse. Und vielleicht sogar aus seiner Zeit davor, bevor es im Gebrauchtmöbelgeschäft auf uns gewartet hatte. Damals in Winzerla. Da hat alles angefangen. 2007 war das und ein Jahr später sind wir zusammengezogen. Vor drei Jahren wieder weg. Dann bin ich nach Israel gegangen und Malina hat das Sofa gehütet, um es im letzten Jahr wieder mitzubringen. Als ich es gerade so geschafft hatte, mich wieder mitzubringen. Nach Deutschland. Aber Leipzig hatte die Arme offen. Das war sehr hilfreich…

Allein die letzten Jahre waren spannend für das Stückchen (Kunst-?) Leder. Wer alles darauf geschlafen hat, die unzähligen Kaffeeflecken, der darin verschwundene Alkohol… Wenn ich mit Lasse Streit hatte, saß ich dort und habe geweint. Oder ich habe Tee getrunken, viel zu viel bunten Dampf eingeatmet und Schallplatten gehört. Mein Leben vergessen. Und dann jeden Tag frühstücken. Ich habe meine Kuhle hinterlassen. Und viele daneben gefallene Stückchen Müsli. Seit das Sofa in Plagwitz steht, hat Malina diesen Platz eingenommen. Dort sitzt sie jetzt wieder und googelt Boxspringbetten.

Die Tram vor dem Fenster donnert weiter und weiter. Wir hören sie kaum noch, haben uns dran gewöhnt. Die Nachbarin stöhnt da lauter. Fast täglich. Wenn es sich anfühlt, wie es klingt, möchte ich ihr gern irgendwann einmal sagen, dass ich mich für sie freue. Ich bin ein Fan von Leidenschaft und sich gehen und fallen lassen. Wenn ich sie denn mal treffe. Das passiert recht selten. Ich kenne nur die wenigsten in meinem Haus. Nur wenn ich, um meinem schönen Postboten zu gefallen, mal wieder für die halbe Nachbarschaft Pakete annehme, sehe ich mal den einen oder anderen Menschen, der hier wohnt. Das mag ich aber eigentlich. Das ist der Vorteil der Stadt. Ich kann nach Hause kommen, wann und mit wem ich will und es ist einfach allen egal. Wer vom Lande kommt, weiß das sehr zu schätzen.

Ich frage mich, was Lasse gerade macht. Und würde auch gern wissen, ob der Prinz gerade an mich denkt, der mir einst so schöne Briefe schrieb, als wir einfach beschlossen hatten, alles Irdische zu verlassen und unsere Welt zu poetisieren. Dieser Traum hatte letztendlich zerbrechen müssen. An dieser sogenannten Wirklichkeit. Aber bis dahin bekam ich die besten Briefe meines Lebens. Ich habe sie alle aufbewahrt. Neben den Erinnerungen an jeden einzelnen Kuss. Das ist auch schon wieder Jahre her. Allerdings passierte das nicht in der Nähe dieser Ledercouch. [Zum größten Teil jedenfalls – die Briefe hat sie alle mitgelesen] Sondern zwischen Zedern in Jerusalem, weißen Laken in Berlin und Haifa und einer heftigen Brise Mittelmeer. Dort haben wir auch gesessen, als wir uns das letzte Mal gesehen haben. Und ich wusste, dass es ein Abschied war. Er auch. Wollte es aber nicht einsehen. Er schreibt keine Briefe mehr. Weil er mit der Kombination aus mir und Wirklichkeit nicht zurecht kommt. Ich muss es ihm gewähren.

Und nun sind da so viele neue Farben. In meinem Kopf ist schon Frühling seit dem letzten September. Und es blühen ständig neue Blumen. Manche nur für Augenblicke. Manche länger, dafür nicht so bunt. Und andere, wie verschwimmende Farben auf LSD. So auch du. Ich frage mich, was du gerade machst. Und wieso du nicht hier bist, um mich in den Arm zu nehmen. Wieso du nicht einfach anrufen kannst, um mir – was auch immer – zu erzählen. Wieso mir das Gefühl deines Mundes in meinem Nacken nicht verloren geht. Wie und so.

Der Tag geht zur Neige. Ich trinke Tee und warte. Roland Barthes hat gesagt, dass das Warten die Hauptbeschäftigung von Verliebten ist. Ich bin aber nicht verliebt. Ich kämpfe nur mit meiner Psychose. Denn wenn ich dich pathologisiere, bleibt mir wenigstens das Selbstmitleid erspart. Jedenfalls hoffe ich das. Weil [Selbstmitleid] nicht so schön zwischen [Pisse] und [Horizont] passt, auch nicht in einen bunten Frühlingsstrauß, nicht in mein Fensterbrett, nicht auf mein altes Sofa. [Liebe] schon eher…

Da sitze ich jetzt allein. Malina ist ins Bett gegangen und quält sich auf ihrer kaputten Matratze.

Und ich denke schon wieder an dich und wünschte, ich hätte den Allzweckreiniger heute Nachmittag gekauft. War ja im Angebot.

 

 

saskia