Karneval der Kulturen in Berlin. Ein Paar, doch Dominik schaut den Mädchen hinterher, seine Partnerin läuft mit gesenktem Kopf neben ihm. Wie immer, Helga ist es schon gewohnt, kaum beachtet zu werden. Keine ausgesprochene Schönheit, durch ihre Haltung wirkt sie eher unansehnlich. Dazu dieses kaum wahrnehmbare Hinken. Eine graue Maus, die wohl Glück hat, diesen attraktiven Kerl erwischt zu haben. Dominik schaut eben der kleinen Blonden nach, die hat er doch schon mehrmals bemerkt. Buntes Leben hier, viele Menschen quirlen durcheinander. Fröhliche Stimmung. Helga stumm neben Dominik, der ohne Pause seine so wichtigen Ereignisse erzählt. Hat Helga nichts Interessantes einzuwerfen? Sie nickt nur ab und zu. Doch plötzlich wird sie lebhaft, nimmt ihn und steuert auf etwas zu. Ihre Entdeckung: Der Orakelautomat. Für 50 Cent spuckt er ein Orakel aus. Wie eine Säule steht er auf dem Gehsteig. Sowas, was es alles gibt. Beide haben jetzt zugegriffen. Dominik liest als erster. So ein Quatsch, bemerkt er, schmeißt sein Orakel weg. Helga wird nicht gefragt, denn er muss jetzt dringend ein Eis holen. Und weg ist er, die Richtung zur kleinen Blonden führt nicht zum Eis. Helga setzt sich erstmal auf eine Bank. Enttäuscht, ein kleines Häufchen Elend. Warten auf Dominik, das kennt sie schon. Sie entfaltet das Orakelblatt und liest. Orakel Schläfst du und träumst? Nein du träumst nicht, bitte höre mir zu und komm mit mir. Ich bin weder Tier noch Berg, oder Luft. Dein Gefühl wird mich erkennen, es ist unwichtig, wie du mich benennst. Ich bin mit dir. Dieser Garten gehört jetzt uns. Wir beide sind hier, betrachten die Blumen. Der Regen, der ganz leicht unsere Haut benetzt, macht uns nichts aus. Dichtes Grün umgibt uns, wir sind fast in einem Dschungel. Kein Mondschein, nur die Sterne sind zu sehen. Eine dicke Wolke bedeckt den Mond. Trotzdem sehe ich dein Gesicht, öffne die Augen, deine schönen Augen. So entspannt siehst du aus. Keine Angst, keine Sorgen nur diese Hingabe an den Augenblick. Bist du eine Frau, bist du ein Mann? Für mich ist das egal. Du bist du. Ich habe dich ausgewählt. Ich will dir zeigen, wie angenehm es mit dir hier zusammen ist. So ein Mensch bist du, so ein schöner Mensch. Zwischen Sehnen und Hoffen Darfst du blühen Nicht nur in diesem verwunschenen Garten mit mir Das Orakel soll dir verkünden Du wirst einem anderen Menschen begegnen Du wirst wach sein und er wird dein Blühen bemerken. Unerwartete Freude breitet sich in Helga aus. Etwas blumig, gewiss, aber die Worte tun ihr gut. Lange ist es her, da wurde ihr auch Schönes ins Ohr geflüstert. Viel zu lange. Ein kleines Mädchen tippt sie an, schenkt ihr einen bemalten Stein. Schwarze Locken und strahlende Augen schauen sie an. Komm, sagt die Kleine, dort vorn tanzen sie. Komm mit. Zwei arabische Frauen nicken ihr zu. Karneval der Kulturen, freundliches Miteinander. Wie im Traum geht Helga davon. Sie ist plötzlich im Kreis von vielen fröhlichen Menschen. Als Dominik zurückkehrt, ist Helga auf und davon. Mit der Blonden hat er die Handynummer ausgetaucht. Das war alles. Unergiebig, er hatte mehr erwartet, hält sie jetzt für zickig. Mal abwarten. Was stand auf seinem Orakel: Tiefgründig, nachdenklich, feinsinnig, bewegend, alles steht dir dabei offen. Na, das war er ja. Mit Helga ist sowieso Schluss jetzt. Zu langweilig. Ganz in der Nähe tanzen ein paar Leute. Sambamusik. Eine junge Frau sieht aus wie Helga, aber das kann nur ein Irrtum sein.

Regine Wendt