Das Rascheln, wenn die Seiten einer Zeitung oder eines Magazins umgeblättert werden.

Die Atmung, die einem Stöhnen oder dem Ausdruck von Langeweile gleichkommt.

Sitzen und Warten strengt an.

Erst Recht, wenn nicht klar ist worauf. Auf ein Erwachen oder ein Ableben.

Zu einer Berührung scheinst du nicht in der Lage – wer auch immer du bist.

Wer auch immer du bist.

Haben dich die letzten Bilder berührt?

Haben dich die letzten Nachrichten berührt?

Hat dich irgendwann einmal das Leben berührt?

Die letzte Berührung des Lebens und seiner Bilder hat mich hierher geführt.

Mitten in der Kurve bin ich stehen geblieben, um das überraschende Bild zu betrachten.

Da war ein Getreidefeld, direkt am Fluss. Die Halme bogen sich leicht im lauen Wind.

Ein Stück weiter rechts davon ein Streifen strahlender Wiese. Auf deren Höhe lagen einige Schiffe im

Wasser. Auch sie schaukelten leicht, obwohl kein Wellengang zu beobachten war.

Und dazwischen – nur einige Meter breit – lag dieses Meer aus Farben. Blumen, die so zart und zerbrechlich wirkten. Vielfarbig in ihrer Menge. Ich konnte sie nicht benennen. Blaue und lila Blüten, gelbe und orange, rote und türkisfarbene.

Als Kind habe ich sie auf Almen gesehen und gepflückt. Auch da wild wachsend und in die Landschaft geworfen. Ich sammelte einen Strauß für meine Mutter.

Bei dem Anblick spürte ich die Sonne auf meiner Haut – in der Vergangenheit und eben an diesem Tag. Wir strahlten gemeinsam.

Dann wurde mir das Fahrrad förmlich aus der Hand geschossen – und dann nichts mehr.

Stelle dich mir als Basilisken vor, der du auf zwei Hühnerbeinen hockend auf dem Stuhl weilst. Mit deinem Hahnenkopf das zukünftige Opfer bewachst. Bist du mein Todesbote? Oder dient deine Gestalt auch dazu, ausführendes Organ zu sein? Mit welcher deiner todbringenden Fähigkeiten auch immer.

Dann blätterst du bestimmt in einem Hochglanzmagazin, welches Designstücke all möglicher Gewerke und Kunstgattungen zur Schau stellt.

Wie hoch ist der Preis für ein Leben, dass du überführst?

Verdammt, hör auf zu blättern und sieh mich an!

Fabeln und Märchen haben für mich keinen Wert.

Auch Lüge und Wahrheit spielten für mich keine Rolle.

Es ging immer nur um das Fassbare und das Unfassbare. Um das Unbegreifliche oder das Begreifbare.

Ein Stein, glatt geschliffen vom Wellengang. Die Robustheit einer uralten Statue, die sich verfärbt aber niemals bricht. Der Geschmack einer reifen Avocado.

Solche Dinge erinnere ich. Solche Dinge haben Wert.

Für so etwas bleibe ich stehen, schaue es an, betaste oder schmecke ich es. Sauge diese Einzigartigkeit auf. Langsam und nicht im Vorbeihuschen.

Das Bild ist schwarz. Ich konnte es nicht halten. Es gab kein Vergehen, eher einen umgelegten Schalter. Aus. Jemand hat vergessen wieder auf on zu drücken.

„Es war Fahrerflucht. Sie hatte keine Chance zu reagieren.“

Mit wem reden die?

Ich kann dich immer noch blättern hören. Und die Stimme, die etwas erklärt.

Nur wenige Stimmen sind wie Bilder. Nehmen dich mit auf eine Reise.

Nicht dich – dir liegt nur daran zu vergiften und zu Ende zu bringen.

Da spielen Bilder und Reisen keine Rolle.

Aber sie sind wichtig. Weil sie weit über das Gesagte hinausgehen. Vielleicht erzeugen sie die Vielfarbigkeit der Blumen und Blüten, die es ohne ihren Klang – ihr Timbre – nicht gäbe. Vielleicht führen nur diese Stimme Himmel und Erde zusammen, damit ein ganzes Bild entsteht.

Und da bin ich wieder in der Welt, in der ich … leben möchte.

Auch, wenn sie mich zu einer Gefangenen macht. Gefangen zwischen Düften, Farben und taktilen Feinsinnigkeiten.

Noch lebe ich, oder?

Dieses abtauchen hat dazu geführt …

In den Augenwinkeln habe ich etwas wahrgenommen, was sich schnell bewegt. Es schien endlos weit entfernt zu sein. Und so war ich wieder ganz eins mit der Schönheit der Natur und dem zarten Zusammenspiel von Bewegung, Farben und Formen. Vom Spiel des Windes und des Wassers mit den Schiffen, dem Getreide und den Blumen.

Bin ich jetzt eins – mit der Natur?

Bitte verstreut mich, wenn es so weit ist. Ich möchte mit ihr sein, nicht in oder unter ihr.

Für einen Augenblick ist wieder nur die Stille. Die Stille, die ihre Anwesenheit auskostet.

Und das Blättern des Basilisken.

Und die Dunkelheit und Schwärze, die es wohl zu Hauf jenseits aller Farbigkeit gibt.

Ich habe nie verstanden, warum die Bräute kirchlich alle in Weiß heiraten mussten.

Warum die beiden farblosesten Töne für Unschuld und Trauer stehen.

Als ob beides fern jeder Sinnlichkeit läge.

Besitzen der Atem und der Herzschlag eine Farbe?

Matthias Rische