‚türlich war das okay! Warum auch nicht? Es gab da doch ganz andere als ihn. Im Grunde war er doch harmlos; einer eigentümlichen Passion hatte er sich verschrieben. Na gut. Aber mehr auch nicht. Wozu das ganze Tohuwabohu?
Das verstand er einfach nicht.
„Sehen Sie denn wirklich nicht die Gefahr, der Sie sich durch ihr Tun ausgesetzt haben? Sie hätten auch zu Schaden kommen können.“
„Unsinn! Die Lage war übersichtlich und nahe einer symphonischen Offenbarung als die Ordnungshüter angerauscht kamen. Dazu dieses nervige Tatü Tata. Und alles war hin. Ich dabei war so nah dran gewesen. Verstehen Sie?“ Er blickt traurig zu Boden. Irgendwie gebrochen.
„Was genau meinen Sie?“
Der Typ ihm gegenüber. Das linke Bein über das rechte überschlagen. Schicke Hose in weiß. Ziegenbärtchen und blaue Designerbrille. Exquisiter Hemdgeschmack. Vielleicht BOSS. Sitzt wie angegossen. Stellt Fragen. Soll wohl rausfinden, ob er noch alle Nadeln am Baum hat. Für Helmut geht das schon in Ordnung.
„Sehen Sie, diese ganze Stadt …“, beginnt er langsam und holt mit seinem Arm zu einer weiten Bewegung aus. Der ganze Vorgang geschieht entspannt, aber ausdrucksstark.
“ … ist eine dissonante Erscheinung gigantischen Ausmaßes. Doch in all dem zufälligen Chaos kann man kurzzeitig Harmonie erleben, wenn alles für einen kurzen Moment zusammenpasst und aus der Krakophonie der Großstadt für eine minimale Zeit spontan eine Symphonie der Großstadt entsteht und eben möglichst lange gehalten wird.“
„Ach?! Und dazu stellen Sie sich regelmäßig auf einer Tonne in Signalfarbe in die jeweilige Mitte einer großen Kreuzung und beginnen zu dirigieren?“, fragt ihn sein spitzbärtiges Gegenüber verdutzt.
„In Frack und allem. Jawoll!“, entgegnet Helmut bestätigend und fährt begeistert fort: „Ich finde mich quasi in den Rhythmus des Moments ein, versuche die Führung als Dirigent zu übernehmen, um das ganze in Richtung einer möglichen Symphonie der Großstadt zu lenken. Das ist meine Mission! Das ist meine Hoffnung!“, schließt er mit geballter rechter Hand.
Dr. psych. Bernewalling ist einigermaßen beeindruckt. Drückt die zentrale Lippenpartie nach oben, während er seine Mundwinkel beeindruckend weit nach unten zieht. Ausdruck echten Akademikerrespekts.
„Na, das ist doch mal was! Und da heißt es immer, den Menschen wäre ihre Stadt egal. Sie sind da ein spannender Gegenbeweis.“
„Meinen Sie denn, ich spinne?“, hakt Helmut interessiert nach.
„Ach was! Da gibt’s ganz andere als Sie.“, Bernewalling winkt gelangweilt ab.
„Genau, das hab ich auch gesagt.“, Helmuts offene und halb nach oben gedrehte Hand schießt vor.
„Und Sie haben Recht damit.“, bestätigt der Psychiater mit leicht erhobenen Finger. „Dennoch müssen Sie verstehen, daß sie störend in den Verkehrsverlauf eingegriffen haben und das mag man in diesem Land überhaupt nicht. Das wissen Sie doch.“
„Ja, natürlich haben Sie damit Recht. Ich möchte auch wirklich kein Gefährder sein. Aber irgendwie muß ich da ins Zentrum des Geschehens, wenn ich Ergebnisse will.“
„So jedenfalls nicht, mein geschätzter Herr Primel. Wenn Sie das nochmal machen, werden die Beamten sicher nicht mehr so verständnisvoll reagieren. Das ist Ihnen hoffentlich klar.“
„Was raten Sie mir also, Herr Doktor?“, fragte Helmut leicht zerknirscht.
„Sie sind doch ein feingeistiger Zeitgenosse. Ihnen wird sicher etwas einfallen.“, ermuntert ihn Bernewalling neue Wege einzuschlagen.
„Meinen Sie wirklich?“, Helmut erstaunt.
„Aber ja.“, beide wirken mit dem Verlauf der Sitzung sehr zufrieden.